Ob Blumenbinden oder das Arbeiten mit Holz und Metall, die Schüler der Freiherr-von-Rochow-Schule in Pritzwalk lernen über Kooperationen mit außerschulischen Partnern bereits ab der siebten Klasse unterschiedliche Berufe kennen. Mit Erfolg: Fast alle finden später einen Ausbildungsplatz.
Von Katharina Zabrzynski
Es ist die sechste Unterrichtsstunde und trotzdem sind die Neuntklässler immer noch hoch konzentriert. Über die Tische gebeugt löten sie Widerstände auf Leiterplatten, die kaum größer als eine EC-Karte sind. Es ist Präzisionsarbeit, das Lot darf nur eine der vielen schmalen Leiterbahnen berühren. „Das macht ihr schon richtig gut“, lobt sie der Kursleiter Jörg Menck, „wenn ihr das bei den Radios genauso macht, dann müssten sie funktionieren“. Ab der nächsten Stunde dürfen die Oberschüler nämlich Radios bauen. Menck hat schon mal ein fertiges Modell mitgebracht. Immer wieder nehmen die Jugendlichen das Gerät in die Hände und begutachten die Technik im Gehäuse. „Wow, es ist so wenig drin in so einem Ding“, sagt ein Schüler beeindruckt. Menck wirkt zufrieden. „Wir wollen bei den Jugendlichen Interesse für Technik wecken“, erklärt der Elektroingenieur, „heute sind sie daran gewöhnt, dass Technik funktioniert. Wie etwas gebaut ist, wissen die wenigsten.“
Ein Netzwerk aus mehr als 50 Kooperationspartnern
Der Profilkurs „Elektrotechnik“ am Oberstufenzentrum Pritzwalk gehört zu der Vielzahl praxisorientierter Lernangebote, die den Schülerinnen und Schülern zur Auswahl stehen. Unter dem Motto „Mit allen Sinnen an unterschiedlichen Orten lernen“ möchte die Ganztagsschule ihren Absolventen einen reibungslosen Übergang in den Beruf ermöglichen und kooperiert dafür mit mehr als 50 Partnern aus der Region. Eine tägliche Herausforderung für das Kollegium, aber vor allem für Gisa Michaelis. Das Telefon der Schulleiterin steht selten still. In den Unterrichtspausen schauen mehrfach Kollegen vorbei. Ein Lehrer möchte mit ihr die Ideen für eine Schülerfirma besprechen. Dann muss sie noch schnell eine Vertretung für den krank gewordenen Leiter der Gitarren-AG finden. „Wir sind ein Gefüge aus 500 Menschen mit einer Struktur, die nicht einfach aufgehoben wird, weil jemand ausfällt. Bei uns gilt die Philosophie: Jeder Unterrichtsausfall wird vertreten“, sagt sie.
Vor sieben Jahren wurde an der Oberschule „Praxislernen“ in den Klassenstufen 9 und 10 eingeführt. Die Schülerinnen und Schüler absolvieren ein Bewerbungstraining, besuchen ein vierwöchiges Praktikum und verbringen ein Jahr lang einen Tag in der Woche in einem der gut 50 Betriebe des außerschulischen Netzwerks. Das Praxisschnuppern zahlt sich aus: „Etwa 40 von rund 100 Schülerinnen und Schülern eines Jahrgangs kommen mit Vorverträgen aus den Betrieben zurück, die anderen 60 wissen zumindest, wo sie sich bewerben müssen“, erzählt Gisa Michaelis und betont: „Die Zahl derjenigen, die nicht sofort einen Ausbildungsplatz finden, ist verschwindend gering.“
Berufsfrühorientierung ab der siebten Klasse
Doch der Erfolg hat sich nicht sofort eingestellt. „Als wir das Praxislernen in der Oberstufe einführten, stellten wir fest, dass die Schülerinnen und Schüler kein Vorwissen über die Berufe hatten und die Betriebe oft wechselten. Deshalb haben wir mit der Berufsfrühorientierung angefangen“, erklärt die Schulleiterin. Seitdem lernen alle Siebtklässler im ersten Halbjahr alte Handwerkstechniken kennen, sie filzen mit Wolle, arbeiten mit Holz oder belegen einen Töpferkurs. „An vielen Grundschulen ist das Fachwerkeln weggebrochen, auch zu Hause wird immer weniger gebastelt. Hier lernen sie, ihre Hände zu gebrauchen und fassen Vertrauen zu sich“, erläutert Michaelis. Zwar werde heute vieles maschinell gefertigt, doch um die Beschaffenheit eines Materials oder bestimmte Arbeitsschritte einschätzen zu können, sei der praktische Unterricht weiterhin eine wichtige Voraussetzung. Wenn man zum Beispiel verstehen will, wie eine Werkzeugmaschine funktioniere, muss man auch mal selbst eine Feile in der Hand gehabt haben.
Im zweiten Halbjahr geht der Praxisunterricht dann an der Bildungsgesellschaft Pritzwalk weiter. In Kleinprojekten lernen die Siebtklässler die Berufsfelder Floristik, Dienstleistung, Metall- und Holztechnik kennen. Dabei kommen ihnen die Fachkompetenz und die technischen Ausstattung des Kooperationspartners zugute. In der Klasse 8 wählen die Jugendlichen schließlich nur noch zwei Berufsfelder aus und widmen sich zwei großen Projekten. „Bei der öffentlichen Präsentation der Ergebnisse merken wir, wie stolz sie auf sich sind“, sagt Michaelis.
2009 und 2011 wurde die Oberschule vom Netzwerk Zukunft. Schule und Wissenschaft für Brandenburg als „Schule mit hervorragender Berufsorientierung“ ausgezeichnet. Für das Kollegium ist dies kein Grund, sich auf dem Erfolg auszuruhen. Seit 2010 arbeitet die Schule im Netzwerk Ganztagsschule der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung (DKJS). Die Anregungen der Partnerschulen aufgreifend, hat sie einen Schülerkalender eingeführt, in das die Oberschüler ihre Aufgaben, Ziele und Termine eintragen. Damit können sie ihren Schulalltag besser strukturieren und das Heft dient gleichzeitig der Kommunikation zwischen Eltern und Pädagogen. „Wenn sie in die Berufsausbildung gehen, müssen die Jugendlichen auch Kalender führen, sie müssen Termine eintragen und Unterschriften einholen. Der Schülerkalender ist eine gute Vorbereitung“, sagt Marion Kenzler. Die Ganztagskoordinatorin vertritt ihre Schule regelmäßig bei den Netzwerktreffen der DKJS.
Individuelle Förderung mit neuen Lerntechniken
Schülerinnen und Schüler individueller fördern, ist ein weiteres Ziel der Schule im Rahmen der Netzwerkarbeit: „Wir müssen neue Lerntechniken kennenlernen und zu Lernberatern werden“, so Kenzler. „Statt einen 45-minütigen Vortrag zu halten, ist es oft effektiver, wenn wir den Schülern zur Seite stehen und sie sich den Lösungsweg selbst erarbeiten.“ Im Sprachunterricht werden solche Methoden schon angewendet, jetzt sollen sie auch in anderen Fächern stärker umgesetzt werden.
Mit der Zeit gehen und nie zu lange verweilen. Längst hat man an der Freiherr-von-Rochow Schule erkannt, dass auch die Zukunft der Region davon abhängt. „Viele junge Menschen zieht es nach Westdeutschland. Wenn wir nichts dagegen unternehmen, können wir bald die Bürgersteige hochklappen“, sagt die Konrektorin nüchtern. „Wir müssen die Jugend in der Region halten und das können wir nur, indem wir ihr eine gute Schulbildung und gute Ausbildungsplätze vor Ort anbieten.“
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