Was folgt daraus?
Erste Konsequenz: Die Schule muss sich verändern, wir müssen das Lernen weiter fassen, den Unterricht anders anlegen; nicht nur für Kinder, die in Armut leben, sondern für alle Kinder. Nicht: die Türen zumachen und die Köpfe mit möglichst viel Stoff in möglichst kurzer Zeit füllen, sondern: die Türen aufmachen, den Kindern die größtmögliche Fülle spannender Lerngelegenheiten bieten, in und außerhalb der Schule. Nicht Nachhilfe im Lesen und Pauken für den Test, sondern die Lust am Lesen wecken, ja die Kinder lesesüchtig machen.
Zweite Konsequenz: Dafür brauchen die Schulen Unterstützung, also Partner. Kinder brauchen zum Lernen nichts dringlicher als Zuwendung von Erwachsenen, Orientierung in der Welt und Bewährung in herausfordernden Lernsituationen. Hier in Berlin gehen Ehrenamtliche in die Schulen, um mit Kindern zu lesen (Bürgernetzwerk Bildung). Bei uns in Bielefeld bauen wir eine Bürgerinitiative mit Namen TABULA auf, um Kinder und Jugendliche erfahren zu lassen, dass der Tisch der Bildung reicht gedeckt ist; sie fahren zum Bauernhof oder reiten, sie engagieren sich für Tierschutz oder drehen einen Film – und dabei ergeben sich die Herausforderungen für das Lesen und Scheiben.
Zuwendung, Orientierung, Bewährung: Erst recht brauchen das die Jugendlichen, die 11-16-Jährigen. Hier in Berlin kann man sehen, was passiert, wenn sie ausbrechen, wenn unsere Schulen und unsere Ordnungen sie nicht erreichen, wenn sie sich ihr Maß an Zuwendung, Orientierung und Bewährung in ihren Peer Groups suchen. Vor allem aber findet man hier viele Beispiele dafür, wie es anders sein kann. Wir werden einige davon hier kennenlernen. Jugendliche nehmen ihr Lernen in die eigene Hand, sie betreiben – unter Anleitung von Erwachsenen, aber mit einem hohen Maß von Verantwortung – eigene Firmen, sie lernen in der Stadt oder bei Profis – Künstlern zum Beispiel – die in die Schulen kommen.
Die Bielefelder Lutherschule, eine Hauptschule in dem sozial schwierigsten Stadtteil Mitte, hat eine Partnerschaft mit Bethel aufgebaut: Jugendliche betreuen Menschen, die mit Behinderungen leben müssen. Von solchem Lernen gibt es für unsere Jugendlichen nach meiner Einschätzung nicht zu viel, sondern viel, viel zu wenig. Die Zahlen für Schulangst, Schulverdrossenheit und Schulverweigerung sprechen eine deutliche Sprache. Auch hier also: Die Schule muss sich ändern und sie brauchen dafür außerschulische Partner. Wenn Sie wissen wollen, wie es aussehen kann, wenn Jugendliche sich in unserer Welt ernsthaft bewähren und was sie dabei lernen können, lesen Sie das neueste Buch von Hartmut von Hentig, das den Titel „Bewährung“ trägt.
So sollte Lernen grundsätzlich sein, um alle Intelligenzen zu fördern, sagt Howanrd Gardner (Der ungeschulte Kopf“, Stuttgart 1996), einer der bekanntesten amerikanischen Lernforscher. Für ihn sollte die Schule aussehen wie ein Dorf, wo Erwachsene ihem Beruf nachgehen und die Jugendlichen sich in altersgemischten Lehrlingsgruppen ihnen zuordnen. Sie programmieren Computer oder pflegen Tiere, konstruieren und reparieren Fahrräder, führen ein Restaurant, lernen bei diesen Tätigkeiten alle Basics, die unsere Kultur fordert … und die Lehrlinge der verschiedenen Gruppen treffen sich zwischendurch in allgemeinbildenden Kursen.
Vielleicht stand Howard Gardner dabei der bekannte Satz vor Augen: „It takes a village to raise a child“. Warum, wenn wir doch wissen, dass Lernen ein village braucht, folgen wir dieser Einsicht dann nicht? Antwort: Weil die Lebenswirklichkeit unserer Kinder eben so nicht ist, weil sie nicht im village aufwachsen. Das weiß auch Howard Gardner, er verlegt darum seine gedachte Schule in ein Museumsdorf.