Schulen gemeinsam als Lern- und Lebensorte gestalten – darum geht es uns in unseren zahlreichen Schulprogrammen. Wie dies mit dem Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung und den jüngsten Ergebnissen des Nationalen Bildungsberichts zusammenhängt, erläutert DKJS-Expertin Anna Margarete Davis im Interview.
Der Nationale Bildungsbericht hat gezeigt, dass sich die Bildungsungerechtigkeit weiter verschärft. Wo setzt die Arbeit der Stiftung an, um dem entgegenzuwirken?
Anna M. Davis: Eine Leitfrage unserer Arbeit ist, wie wir Orte guter Bildung gestalten können, die mehr Bildungsgerechtigkeit gewährleisten. Dabei nehmen wir die ganze Bildungskette in den Blick und bringen immer wieder verschiedenste Akteur:innen zusammen. Denn gute Bildung braucht Kooperation auf allen Ebenen – sei es in der Kommune oder zwischen Schulleitung und Schulaufsicht. Darüber hinaus bieten wir zahlreiche Impulse und Qualifizierungsangebote, vor allem für pädagogisches Personal – beispielsweise zum Umgang mit Heterogenität oder auch zur Digitalisierung. Und wir setzen auf Netzwerkarbeit sowie die Begleitung der Entwicklungsprozesse vor Ort.
Um Bildungsungerechtigkeit abzubauen, sehen wir besonderes Potenzial in der Weiterentwicklung von Ganztagsschulen. Durch ein Mehr an Zeit und die Arbeit in multiprofessionellen Teams gibt es gerade dort die Chance, Schülerinnen und Schüler besser individuell zu fördern und ihre Bedürfnisse für eine gesunde und ganzheitliche Entwicklung in den Blick zu nehmen. Doch ihr Potenzial für bessere Bildungschancen können Ganztagsschulen nur entfalten, wenn die Qualität stimmt. Das zeigt die SteG-Studie ebenso wie der Nationale Bildungsbericht. Nicht nur die wachsende Bildungsungerechtigkeit, sondern auch die (noch) nicht enden wollende Pandemie senden aus meiner Sicht ein lautes Signal: Wir brauchen gute Ganztagsbildung mehr denn je!
Was bedeutet „gute Ganztagsbildung“?
Anna M. Davis: Das Stichwort ist hier Qualität – und Qualität lässt sich gut beschreiben. Es geht um gute Kooperation innerhalb der Schule, aber auch mit externen Partner:innen. Dafür braucht es Zeit- und Raumkonzepte und einen gemeinsamen Blick auf die Bedarfe der Kinder. Unterricht und Ganztag dürfen nicht getrennt sein, sondern müssen eine konzeptionelle Einheit bilden. Bereits 2014 haben wir in unserem langjährigen Programm Ideen für Mehr! Ganztägig lernen das „5 x 5 der guten Ganztagsschule“ erstellt. In Berlin hat unsere Serviceagentur Ganztag in diesem Jahr an der Erstellung eines Qualitätsrahmens mitgearbeitet. Dies sind nur einige Beispiele aus unserer Arbeit. Auch im wissenschaftsgeleiteten Qualitätsdialog des DIPF ist gemeinschaftlich ein wertvoller Orientierungsrahmen zur Gestaltung guter ganztägiger Bildungsangebote entwickelt worden. Insgesamt mangelt es nicht an Wissen, sondern an guten Rahmenbedingungen und der Umsetzung.
Unser Ansatz ist es, immer vom Kind aus zu denken. Was brauchen Kinder, um bis 16 Uhr in einer Einrichtung ihre Zeit verbringen zu wollen? Was ist dort besser als zu Hause und was muss dort schon alles erledigt werden, damit dann die Zeit zu Hause wirklich als freie Zeit für die Familie genutzt werden kann? Wichtig ist hier die physische und die psychische Gesundheit. Bekomme ich etwas Gutes zu essen? Wer hilft mir beim Lernen? Darf ich mich ausruhen und finde ich auch eine Ecke, in der ich unbeobachtet mit meine Freund:innen spielen kann? Das macht Schule zu einem guten Lern- und Lebensort.
All das ist auch eine Frage der Steuerung. Nicht nur das pädagogische Personal muss wissen, wie ein guter Ganztag ausgestaltet ist und was es dafür braucht. Auch die Schulleitung und ebenso die Schulaufsicht benötigen das Wissen, um gute Rahmenbedingungen zu schaffen. Damit befassen wir uns in unserem Programm LiGa – Lernen im Ganztag – hier nehmen wir Steuerungshandeln in den Fokus und fördern die Zusammenarbeit von Schulaufsicht und Schulleitung.
Welche Herausforderungen gibt es mit Blick auf den beschlossenen Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung für Grundschulkinder ab dem Schuljahr 2026/27?
Anna M. Davis: Spannend ist ja, dass offenbar alle den Rechtsanspruch für einen sinnvollen nächsten Schritt halten, denn die oft ganztägige Betreuung ist ja bereits in Kitas etabliert. Die Herausforderungen sind jedoch so vielfältig wie die Bundesländer: Da geht es um sehr heterogene Ausbaustände, Fachkräftemangel und die Frage, wer eigentlich wofür zuständig ist. In einigen Ländern ist alles bereits im Schulgesetz geregelt. Manche haben ihr Soll schon erfüllt, andere haben noch einen weiten Weg bis 2026 vor sich. Gleichzeitig verfolgen alle Beteiligten das gleiche Ziel, dass wir qualitativ hochwertige Angebote für alle Kinder wollen. Und das vor allem auch, weil der Ganztag – sei es in Schule oder an einem anderen Ort – sonst nicht sein Versprechen erfüllt: Bildungsungleichheiten abzubauen und eine bessere Vereinbarkeit von Job und Familie zu gewährleisten.
Was braucht es, damit die Umsetzung des Rechtsanspruchs gelingt?
Anna M. Davis: Es braucht auf Landesebene ausgehandelte Qualitätsrahmen. Allein die Aushandlung ist schon von hohem Wert im Sinne eines gemeinsamen Commitments und einer geteilten Grundlage für gute Umsetzungs- und Entwicklungsarbeit. Ein solcher Rahmen gibt allen Beteiligten Sicherheit, auch den Eltern. Wichtig ist auch eine datengestützte Bildungsplanung und Ressourcensteuerung in den Kommunen. Dabei geht es nicht nur um eine Datengrundlage, sondern genauso um ressortübergreifende Strategien, damit die Daten wirksam genutzt werden.
Die Herausforderungen sind zwar groß, aber groß ist auch das Potenzial, allen Kindern ein besseres Lernen, mehr Teilhabe und eine Betreuung mit hoher Bildungsqualität zu ermöglichen. Um das zu realisieren, muss der Rechtsanspruch als eine Gemeinschaftsaufgabe verstanden und als Ganztagsoffensive weitergedacht werden. Wir setzen darauf, dass es alle Professionen braucht, um einen Ganztag zum Wohl der Kinder auszugestalten. Austausch und Zusammenarbeit über Ländergrenzen hinweg halten wir dabei für besonders wichtig, denn so können Synergien für alle Beteiligten entstehen.