Ein bunter Berliner Kiez, Kinder aus mehr als 24 Nationen, eine Vielzahl an Sprachen und Kulturen, Kinder aus den unterschiedlichsten Elternhäusern, teilweise aus schwierigen Lebensverhältnissen: Wie kann eine Schule all diesen Kindern eine reelle Chance auf Bildungsteilhabe ermöglichen? Wie können sie gleichermaßen in ihrer Individualität gefördert und gefordert werden und sich frei entfalten? Wie entsteht eine solidarische Schulgemeinschaft über Kultur- und Sprachgrenzen hinaus? Die Erika-Mann-Grundschule beantwortet all diese Fragen mit: Wir spielen Theater!
Alles nur Theater?
Wöchentlich steht für alle Klassen eine Doppelstunde Theater im Stundenplan, eine Schulstunde mehr pro Woche als in der Stundentafel vorgesehen. Alle Kinder spielen mit. Jedes Kind betritt die Bühne, jedes Kind spielt eine Rolle. Und das wortwörtlich, denn die Kinder erleben, dass die Inszenierung nur dann gelingen kann, wenn alle ihren Teil dazu beitragen und alle dafür Verantwortung übernehmen.
Zu selbstbestimmten Jahresthemen wie „Freundschaft, Liebe und andere Katastrophen“ oder „Kiezgefühle“ entwickelt jede Klasse ihr eigenes Theaterstück.
Zuerst wird improvisiert. Geschichten werden erzählt, die in Bewegungsspielen und szenischen Improvisationen umgesetzt werden. Wörter und Sätze werden gefunden und bearbeitet und dabei ganz genau hingehört. Was klingt wie? Passt der Text zur Handlung? Welche Wörter drücken die gewünschte Stimmung aus? Sätze werden weiterentwickelt. Es wird mit Sprache experimentiert und gespielt. Abgesehen von der Arbeit mit der Sprache sind das Spiel mit dem Körper, Mimik und Gestik ebenfalls wichtige Elemente, die den Kindern ermöglichen sich auch ohne Sprache auszudrücken und sich dadurch selbst besser kennenzulernen. Schon im Unterricht wird dann das Geübte präsentiert, reflektiert und die Kinder sind ihre eigenen Kritiker.
Nach und nach entstehen immer mehr Szenen und Bilder. Die Handlung und die einzelnen Rollen konkretisieren sich. Nun geht es ans Proben und ans Entwerfen von Bühnenbildern und Kostümen. In Theaterfachgesprächen werden die Darbietungen reflektiert und diskutiert. Den krönenden Abschluss stellt in jedem Schuljahr das Theaterfestival in der Schaubude Berlin dar, mit der die Schule seit Beginn der Theaterprofilierung kooperiert. Die Kinder spielen für Familie, Freunde aber auch für andere Berliner Schulklassen und stellen sich auch hier anschließend der Kritik des gleichaltrigen Publikums. Das gibt Motivation und Impulse für das nächste Schuljahr.
Kompetenzerwerb durch Theater
Das Theaterprofil unterstützt die Kinder maßgeblich in ihren individuellen Kompetenzen und ihrer Sprachbildung. Die Auseinandersetzung mit Sprache und die Verbindung von verbalen und nonverbalen Elementen werden spielerisch gefordert und gefördert. Beim Improvisieren entstehen Sätze aus der Situation heraus, Erlebtes mischt sich mit Bekanntem wie Neuem und wird nach und nach zum Ausdrucks- und Sprachbestand der Kinder. Texte werden im Chor und alleine gesprochen. Das fördert ein konzentriertes Zuhören und setzt ein Aufeinanderhören voraus. Zudem wird intensiv an der Atemtechnik und der Aussprache gearbeitet. Die Kinder werden ermutigt aus dem Chor herauszutreten und ihre Stimme zu erheben. Denn auf der Bühne zu stehen und sich dabei laut und deutlich zu artikulieren ist erst dann möglich, wenn die Kinder eine gewisse Portion Mut und Selbstvertrauen aufgebaut haben. Dafür wird die Grundlage in der wöchentlichen Theaterarbeit gelegt. Denn die Leichtigkeit des Theaterspielens, das spielerische Aneignen und Ausprobieren von Inhalten nehmen die Kinder als Grunderfahrung in ihren Schultag mit auf. So fällt es leichter, sich in unterschiedlichen Situationen selbstbewusst zu behaupten.
Kulturelle Bildung wird an der Erika-Mann-Grundschule als „ästhetische Alphabetisierung“ verstanden. In ihrem Schulprogramm definiert sie das Theaterspielen „als Möglichkeit eine universelle Sprache über alle gesprochenen Sprachen hinaus zu erwerben“. Jedes Kind kann damit, entsprechend des inklusiven Konzepts der Schule, an seine eigene Lebenswelt anknüpfen, ausgehend von den individuellen Kompetenzen, die es mitbringt. Gleichzeitig entsteht auf dieser Basis Gemeinschaft. Dem Erwerb kreativer Kompetenzen wird auch als Grundlage kognitiver Lernprozesse eine große Bedeutung beigemessen. Neben den obligatorischen Theaterstunden werden deshalb in jüngster Zeit auch Tanz, Musik und Kunst verstärkt in den Unterricht integriert.