Ganztagsschule … aus Sicht der Kinder

 

weniger oder mehr Lebensqualität?

Auszüge aus dem 8. Themenheft von Oggi Enderlein

Die Diskussion über die Einführung von Ganztagsschulen wurde durch die erste PISA-Studie angestoßen: Vor allem die Defizite von Kindern aus sozial benachteiligten und bildungsfernen Elternhäusern sollten durch mehr Deutsch-, Mathematik-, Englischunterricht ausgeglichen werden. Das zweite wichtige Argument für Ganztagsschulen ist, beiden Eltern unabhängig vom Sozialstatus eine Berufsausübung zu ermöglichen. Es ging und geht also vorwiegend um – durchaus berechtigte – Anliegen aus der Erwachsenenperspektive. Auch bei der konkreten Gestaltung von Ganztagsschule stehen oft die Belange und Interessen der Erwachsenen im Mittelpunkt: Es geht um Arbeitszeiten und Arbeitsbedingungen der Lehrer/innen und der pädagogischen Mitarbeiter/innen, um die Organisation und Finanzierung von Nachmittagsangeboten. Viel Zeit, Kraft, Gedanken und auch Geld wurden und werden darüber hinaus in die Organisation des Mittagessens investiert.

Kinder, die Probleme machen, sind Kinder, die Probleme haben.
  • Verhaltensprobleme, psychische Auffälligkeiten, psychosomatische Symptome nehmen zu und treten bei immer jüngeren Kindern auf.
  • Mädchen reagieren eher nach innen, sie entwickeln eher „stille“ Auffälligkeiten: körperliche Symptome, Schmerzen, Essstörungen. Sie berichten häufiger über emotionale Probleme wie „häufiges Unglücklichsein“, „Nervosität in neuen Situationen“, „häufige Sorgen“.
  • Jungen reagieren eher nach außen, sie schreiben sich selbst häufiger Verhaltensprobleme zu wie „leicht wütend werden“, „lügen oder mogeln“, „nicht machen, was man ihnen sagt“ etc.
  • Jungen wird häufiger ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätssyndrom) attestiert.
  • Jungen werden häufiger letztlich wegen ihres Verhaltens nicht versetzt.
  • Verhaltensprobleme einzelner Schüler wirken sich auf das Klassen- und Schulklima aus.
  • Es gibt einen deutlichen Zusammenhang zwischen psychischer Gesundheit und dem Wohlbefinden in der Schule.

(Jugendgesundheitssurvey 2003)

Ursache und Wirkung

Hinter diesen psychosomatischen Symptomen verbergen sich Stress, Burnout/Erschöpfung und Depressionen. Tatsächlich diagnostizieren Kinderärzte immer häufiger Depressionen bis hin zum Wunsch, nicht mehr leben zu wollen, bei immer jüngeren Kindern – schon bei achtjährigen! Die Symptome stehen in einem engen Zusammenhang zum Wohlbefinden in der Schule, wobei Ursache und Wirkung nicht klar zuzuordnen sind: Wenn ein Kind zum Beispiel wegen häuslicher Probleme oft bedrückt ist und es müde, mit Kopf- oder Bauchschmerzen in der Klasse sitzt, wird es sich nicht aufgeschlossen am Unterricht beteiligen können. Die Schulleistungen leiden darunter, die psychisch-emotionale Belastung nimmt zu, damit steigt der häusliche Druck und dem Kind geht es immer schlechter.

 

Wenn andererseits ein im Prinzip unbelastetes Kind in der Schule andauernd Angst vor Versagen und Fehlern haben muss, sich regelmäßig gedemütigt und bloßgestellt fühlt, wird es über kurz oder lang mit großer Wahrscheinlichkeit verhaltensauffällig oder psychosomatische Symptome entwickeln, die sich negativ auf die häusliche Situation auswirken und auf die Schulleistungen zurückschlagen. Kinder und Jugendliche aus sozial benachteiligten Familien sind am stärksten betroffen: Deren Wohnverhältnisse sind beengter, die Eltern kämpfen häufiger mit sozialen, gesundheitlichen, finanziellen, oder psychischen Problemen. Entsprechend reagieren sie auf ihre eher gereizten, angespannten Kinder wiederum eher gereizt und häufiger auch gewalttätig.

In sozial gut gestellten und bildungsorientierten Familien gibt es andererseits oft besonders ausgeprägte Schulversagensängste – bei den Eltern! Dies hat zur Folge, dass Kinder besonders stark unter Leistungsdruck geraten und psychosomatische Symptome, Verhaltensauffälligkeiten oder psychische Störungen entwickeln.

 

Schule wird Lebenswelt
„Initiative für Große Kinder“ c/o Oggi Enderlein, Berlin

In dieser Werkstatt wird Wissen über die spezifischen und entwicklungsrelevanten Lebensbedürfnisse der Kinder zwischen Einschulung und Pubertät gesammelt und in seiner Bedeutung für kinderfreundliche Ganztagsschulen zur Diskussion gestellt ... mehr

Datum: 17.12.2007
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