Lernen ohne Gleichschritt

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Mit differenzierte Lernformen wird die Grundschule Landsberger Straße den unterschiedlichen Entwicklungen der Kinder gerecht. Die individuelle Arbeit der Schüler wird in einem Logbuch strukturiert, mit dem die Kinder und Lehrkräfte jeweils Woche für Woche planen.

Von Britta Kuntoff

 

Herford. Ostwestfalen-Lippe. Aha. Zugegeben, der Regierungsbezirk Detmold hat mit einigen Klischees zu kämpfen. Im Rest der Republik glauben viele, die Menschen im Nordosten von Nordrhein-Westfalen seien stur, wortkarg und nicht gerade mit blühender Phantasie gesegnet. Wer das meint, der sollte am besten einmal in die Stadt zwischen dem Teutoburger Wald und dem Wiehengebirge reisen und sich eines Besseren belehren lassen. Zum Beispiel durch den Besuch der Grundschule Landsberger Straße. Um eine solche pädagogische Glanzleistung auf die Beine zu stellen, braucht es großen Mut, enorme Innovation und Offenheit.

An dieser Grundschule ist fast alles irgendwie anders. Dass sie als offene Ganztagsschule fünf gebundene Ganztagsklassen hat – die damit fast die Hälfte der Kinder besuchen -  ist nur ein Beispiel. Gleichzeitig funktioniert das Modell offener Ganztag: Die meisten der Kinder, die halbtags unterrichtet werden, bleiben nach Schulschluss noch freiwillig, zum Essen, Spielen und zum Lernen. Nur achtzig der insgesamt 255 Schülerinnen und Schüler verlassen schon nach dem Vormittag das Schulgebäude.

Doch Halt! Sie verlassen ihr Lernhaus. Davon gibt es auf dem Gelände Landsberger Str. 19 gleich drei: Die Kinder, die im Halbtag unterrichtet werden, arbeiten im Obergeschoss des Altbaus, dem Lernhaus HT. In der Etage darunter liegt das Lernhaus GU, kurz für Gemeinsamer Unterricht. Gemeinsam bedeutet: Fünf bis sieben der etwa 24 Kinder jeder der vier GU-Klassen haben sonderpädagogischen Förderbedarf. Der Neubau aus dem Jahre 2007 ist die Heimstatt für das Ganztagslernhaus GT.

Konzept Lernhaus

„Mit dem Konzept Lernhäuser denken wir unser große Schule in kleineren Einheiten“, erklärt die Schulleiterin Sabine Zülka, „wir können so viel effizienter arbeiten, unter anderem deshalb, weil die Teams so klein sind, dass die Initiative aller gefragt ist und jeder ernst genommen wird.“ Der ständige Austausch macht aus den drei Schulen wieder die eine, die sie doch eigentlich ist. Eine Schule, die Kindern eigenverantwortliches Lernen beibringen möchte und ihnen Inspirationsquelle, Ruhepol und vor allem ein Zuhause sein möchte.

Sich zuhause zu fühlen, dass gelingt am besten, wenn der Klassenraum zum Lebensraum wird. „Wenn der Schultag um 7.40 Uhr beginnt und um 16 Uhr endet, muss sich Schule ändern“, sagt Theresa Nolte, Klassenlehrerin der 4b, die ebenso wie eine erste, eine zweite und eine dritte Klasse ihren Platz im Neubau findet. Ein ungewöhnlicher Bau. Fraktale Bauweise, wie die Fachfrau sagt. Die vier wabenförmigen Klassenräume gruppieren sich um das zentrale Forum, das alle gemeinsam nutzen. In diesem lichtdurchfluteten Haus gibt unglaublich viele Fenster und ganz viel zu entdecken, etwa den Besprechungsraum der Pädagogen, das Selbstlernzentrum mit Bücherecke, einen Spielkeller oder den Ruheraum. Wie in einem biologischen Gewebe passt alles zueinander. 

Architektur, die die Herzen aller höher schlagen lässt

... die sich für die Thesen begeistern, die sich unter der Idee des „Raums als dritter Pädagoge“ sammeln. Alle Möbel sind leicht umzustellen, die Trapeztische lassen sich ohne Aufwand als Einzel- oder Gruppentische nutzen. In der 4b gibt es Deutschkästchen und ein Matheregal, das eher mit Murmeln und Küchenwaage eher einer Bastelwerkstatt gleicht. „Das Einladende für die Kinder dabei ist“, sagt Sabine Zülka, „dass wir das Vertrauen zu ihnen haben, dass sie selbst entscheiden können, was für sie dran ist. Und dass sie dann das entsprechende Material finden, mit dem sie das, was sie lernen wollen, auch lernen können.“

„Bei uns sind selbst die Tafeln flexibel“, erklärt Theresa Nolte, „wir können sie einfach abnehmen und dort anbringen, wo wir möchten.“ Wie alle Klassenlehrerinnen im Ganztag bildet sie mit einer Erzieherin ein festes Team, in ihrem Fall ist es Agnes Kimmerle. Dass Lehrerin und Erzieher fast alle Entscheidungen zusammen fällen, fiel Theresa Nolte zuerst nicht leicht: „Agnes hatte die Idee, den Kindern keine festen Plätze zu geben, das fand ich zweifelhaft. Aber nach drei Wochen habe ich gemerkt: Das ist echt super! Die Kinder fragen sich: Wo möchte ich sitzen, welchen Partner brauche ich neben mir? Sitze ich lieber alleine oder in der Gruppe? Möchte ich lieber rausgehen? Warum? Großartig, dass das Kind über sich und seine Arbeitssituation nachdenkt“, meint Theresa Nolte und fügt hinzu: „Ohne die Erzieherin hätte ich das nie ausprobiert.“

Wochenstruktur mit Logbuch

Strukturiert wird die Woche durch die Arbeit am Logbuch, in dem Kinder frei an ihren Arbeitsplänen arbeiten. Die zehnjährige Merve hat in ihr rotes Buch ein Bild ihres Türkeiurlaubes gemalt. Sie plant ihre Woche. Am Mittwoch hat sie sich Schreibschrift vorgenommen. Im Kasten Wochenziel steht, sie wolle Mensch-ärgere-Dich-nicht kennen und spielen lernen.

Für Sabine Zülka und ihre 25 Lehrer- und 17 Erzieherkolleginnen ist jedoch die Seite, auf der die Kinder über ihr Arbeits- und Sozialverhalten reflektieren, genauso wichtig. „Das kommentieren wir Erwachsenen nicht. Es geht nicht darum, ob sich die Kinder richtig oder falsch einschätzen, sie sollen lernen, sich nach und nach immer besser selbst zu beurteilen“, meint die Schulleiterin. Vom gleichschrittigen Lernen hat sie sich schon lange verabschiedet. Vor allem, weil ihre Schülerschaft, von der viele aus einem sozial schwachen Gebiet Herfords kommt, ganz unterschiedliche Voraussetzungen mitbringt: „Wir haben viele Kinder, die in extrem schwierigen Lebenssituationen stecken, manche davon haben Entwicklungsverzögerungen von bis zu drei Jahren.“

Wie geht Schule auf die individuellen Bedürfnisse der Kinder ein?

Diese Schule ist ständig auf der Suche nach den besten Antworten. Dazu gehören auch die Experimente im altersgemischten Lernen, an denen die Schule innerhalb des Netzwerks Lernkultur arbeitet. Können Kinder unterschiedlichen Alters beim gemeinsamen Lernen voneinander profitieren? Um das herauszufinden, gibt es regelmäßige jahrgangsübergreifende Forscher-, Kunst- und Lesetage. Es ist ziemlich laut in der Grundschule Landsberger Straße. Es steckt eben eine ganze Menge Leben drin.

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